24.11.2017 Bericht über das Projekt "Am Kutschenweg" im BUND-Jahresbuch 2018

Bericht über das Projekt "Am Kutschenweg" (Landkreis Verden) im BUND-Jahresbuch 2018

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Artikel über das Modellprojekt "Am Kutschenweg" im BUND-Jahresbuch 2018

Öko-Bilanz 80 Jahre klimaneutral wohnen



80 Jahre klimaneutral wohnen

Das Thema Nachhaltigkeit im Bauwesen gewinnt in vielen Ländern zunehmend an Bedeutung. Verschiedene Zertifizierungssysteme bewerten die ökologische, soziale und ökonomische Qualität von Gebäuden. Eine Methode zur Gesamt-Öko-Bilanzierung fehlt in Deutschland jedoch bisher. Bei einem Modellprojekt in Verden rechnet der Architekt vor, dass ein Holz-Strohhaus in den ersten 80 Jahren seiner Nutzung klimaneutral ist.

 Angesichts von globalen Entwicklungen wie Klimawandel, knapper werdenden Ressourcen und demografischem Wandel ist das nachhaltige Bauen in den letzten Jahren immer wichtiger geworden. Denn die Erstellung von Gebäuden und das Wohnen seien für  etwa 50 Prozent der weltweiten Ressourceneinsätze sowie einen Großteil  des Energiebedarfs verantwortlich, rechnet das Institut für Bauen und Umwelt (IBU), eine freiwillige Vereinigung von Baustoffherstellern, vor.  Als Gemeinschaftsprojekt des Bundesbauministeriums und der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) ist im Jahr 2009 das Gütesiegel mit derselben Abkürzung aus der Taufe gehoben worden. Nach einer Erprobungsphase führte das Bundesbauministerium mit dem „Bewertungssystem Nachhaltiges Bauen für Bundesbauten“ (BNB) ein ähnliches System ein, das für größere öffentliche Bundesbauten gesetzlich verpflichtend ist.


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Foto: Steinmeyer, Projekt Kutschenwerg, Verden

Bereiche der Nachhaltigkeit

Beide Systeme bewerten bei Gebäuden drei Bereiche der Nachhaltigkeit – Umwelt, Soziales und Wirtschaft. Dabei werden Gebäude von ihrer Entstehung über ihre Nutzung bis zur Entsorgung mit Hilfe von einzelnen Öko-Bilanzen abgebildet. Außerdem fließen Prozessqualität, technische und Standortqualität in Bewertungen mit ein. Mit der Vergabe eines DGNB-Siegels soll nachhaltiges Bauen über den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes gefördert werden. Je nach Erfüllung der definierten Anforderungen kann ein Gebäude die Auszeichnung Bronze, Silber, Gold oder Platin erhalten.


Bewertung statt Bilanz

Das gesamte System sei jedoch sehr komplex, urteilt Ulrich Steinmeyer, Vorstand von Ökoplus und Bauherr des Projektes am Kutschenweg. So könnte die Zertifizierung eines Gebäudes nach allen Regeln mehrere 10.000 Euro kosten. Aus ökologischer Sicht komme ein Problem noch hinzu, sagt er: „Die Gesamtbewertung findet durch die Addition der Einzelergebnisse statt.“ Und wenn dann bei 40 Kategorien  die Öko-Bilanz nur eine darstelle und der Anteil „Treibhausgaspotenzial“ lediglich einer von fünf Unterpunkten sei, dann lasse sich ermessen, wie gewichtig die Ökologie in der Gesamtbewertung noch vorkomme. Insbesondere wenn daneben beispielsweise auch die Kategorien „visueller Komfort“ sowie „Reinigungs- und Instandhaltungsfreundlichkeit“ eine Rolle spielten.

Steinmeyer kommt daher zu folgendem Schluss: „Wer etwas über die ökologische Qualitäten von Gebäuden erfahren will, wird mit der Gesamtbewertung nach DGNB oder BNB nicht viel anfangen können.“ Denn dort würden vor allem die technischen, sozialen und wirtschaftlichen Eigenschaften der Gebäude überwiegen. Die Kriterien des DGNB-Siegels seien jedoch in Einzelbewertungen durchaus aufschlussreich: So würde beispielsweise die Öko-Bilanz der sogenannten „Grauen Energie“- die während der Bauphase verbrauchte Primärenergie nicht erneuerbaren Ursprungs – im System der DGNB hervorgehoben. Außerdem diene sie zusammen mit einer weiteren Kategorie der Bodenversauerung im DGNB-System in Österreich als Grundlage für die dortige Öko-Bauförderung von Gebäuden. Dass die Gebäudezertifizierung nach DGNB keine Öko-Bilanz sei, stellte indirekt auch Alexander Rudolphi, Präsent der DGNB, im Zusammenhang mit der geforderten Minimierung der grauen Energie fest.


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Pionier aus Großbritannien

Es scheint also Bewegung in der Debatte um Nachhaltigkeit, graue Energie und Öko-Bilanzierung im Baubereich zu kommen. Da lohnt es sich, für einen kurzen Moment über die Grenzen zu schauen: Systeme zur Gebäudezertifizierung gibt es bereits in einigen Ländern, so beispielsweise in Großbritannien, den USA, Frankreich und der Schweiz.


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Foto, Steinmeyer, Projekt Kutschenweg


Bauweise mit Holz und Stroh

Ein knappes Jahr später wurde es für Steinmeyer plötzlich konkreter, denn er startete zusammen mit seiner Partnerin den Bau eines Mehrfamilienhauses mit zwei Vollgeschossen in der niedersächsischen Kleinstadt Verden. Das Haus mit sechs Wohnungen sollte in Holz-Strohbauweise errichtet werden und auch die Nutzungsphase zu einem niedrigen Energieverbrauch führen.

Schnell war klar, dass sich das Bauprojekt ideal eignete, um die ersten Öko-Bilanzierungen am praktischen Beispiel zu konkretisieren.

Beim ökologischen Konzept wurde darauf geachtet, dass das Gebäude möglichst gut gedämmt ist, dass Wärmebrücken vermieden werden und dass die Ausrichtung der Fenster eine gute „passive“ Sonnennutzung ermöglicht. Die lange Seite des Gebäudes zeigt nach Süd-Süd-Ost, was eine gute Nutzung der Sonnenenergie und der direkten Sonneneinstrahlungen in die Zimmer ermöglicht.


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Foto: Steinmeyer, Projekt Kutschenweg


Halbierung des Energieverbrauchs

Während das Strohhaus und das konventionellen Passivhaus in der Nutzungsphase beim Primärenergieverband wegen der gleichen Haustechnik kaum Unterschiede aufwiesen, sei der Unterschied in der Bauphase auf Grund der unterschiedlichen Baustoffe erheblich. Denn hier seien die Energieverbräuche beim Bau und für die Instandhaltung im Verhältnis zu den Verbräuchen durch die Heizung relativ groß: Das Holz-/ Stroh-Gebäude verbrauche weniger als die Hälfte der nicht erneuerbaren Primärenergie im Vergleich zum konventionell errichteten Massivhaus. Es zeige sich, dass die „graue“ Energie beim Bauprozess bei sehr gut gedämmten Gebäuden dominant werde und das Strohhaus sehr gut abschneide, da hier wenig aufwendig verarbeitete Baumaterialien zum Einsatz kamen.

Scharmer und Steinmeyer stellen in ihrem Wettbewerbsbeitrag fest, dass die „Öko-Bilanzierung ein komplexes Thema mit vielen Stellschrauben“ sei. Beispielsweise müsse auch berücksichtigt werden, wie viel Strom und Wärme aus erneuerbaren Energiequellen selbst produziert werde. Ihnen sei wichtig gewesen zu zeigen, „was jetzt passiert und in den nächsten Jahren und Jahrzenten Auswirkungen auf Energieverbrauch und Klima“ habe.


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Quelle: BUND-Jahrebuch 2018 Ökologisch Bauen und Renovieren - herausgaben von BUND Baden- Württemberg, Fotos und Stellungsnahmen, Steinmeyer