13.06.2018 Wie sieht die Zukunft der Naturbaubranche aus?

Wie sieht die Zukunft der Naturbaubranche aus?

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Die Zukunft der Wohnungsbaubranche in den nächsten Jahren bis 2030 lässt sich nicht einfach als Hochrechnung der bisherigen Entwicklungen erfassen. Denn es wirken vielfältige Entwicklungen auf den Wohnungssektor ein. Faktoren, die dabei eine Rolle spielen sind zum Beispiel:

  • Die Wohnbauförderung des Staates
  • die Zinsentwicklung
  • Diskussionen und Vorgaben zum energetischen Bauen
  • Entwicklungen in Bezug auf den Klimawandel und dessen Auswirkungen auf den Bausektor.




Die Zukunft der Wohnungsbaubranche in den nächsten Jahren bis 2030 lässt sich nicht einfach als Hochrechnung der bisherigen Entwicklungen erfassen. Denn es wirken vielfältige Entwicklungen auf den Wohnungssektor ein. Faktoren, die dabei eine Rolle spielen sind zum Beispiel:

  • Die Wohnbauförderung des Staates
  • die Zinsentwicklung
  • Diskussionen und Vorgaben zum energetischen Bauen
  • Entwicklungen in Bezug auf den Klimawandel und dessen Auswirkungen auf den Bausektor.

Der Artikel von Ulrich Steinmeyer zeigt die Entwicklungen auf, die für den Wohnungsbau dabei wichtig sind. Dabei sollen die Auswirkungen dieser Entwicklungen in Zahlen verdeutlicht werden, um dann einen fundierten Ausblick bis 2030 zu ermöglichen.

Das Fazit zum Schluss bezieht sich auf:

  • die Auswirkungen der allgemeinen Entwicklung im Wohnunsgbau auf die Naturbaubranche
  • die Handlungsmöglichkeiten der Branche rund um ökologisches bauen


1.) Entwicklung des Wohnungssektors in Deutschland

Günstige Mieten und großer Wohnungsbestand

Der Wohnungssektor war in Deutschland seit dem zweiten Weltkrieg und den vielen Flüchtlingen aus dem Osten relativ stark staatlich unterstützt und reguliert. Genügend Wohnraum für die gesamte Bevölkerung zur Verfügung zu stellen war ein wichtiges Staatsziel, welches auch in einigen Länderverfassungen Eingang fand.
Als Folge gab es bis in die 80-er Jahre hinein Förderungen einerseits für den privaten Wohnungsbau in Form von Steuererleichterungen und Zuschüssen zu Bausparverträgen, zum anderen aber auch Förderungen für den sozialen Wohnungsbau, um auch für die benachteiligten Bevölkerungsgruppen ausreichend Wohnraum zur Verfügung zu stellen. In der Wohnungspolitik drückte sich ein wichtiger Bereich des Sozialstaats aus.
1980 gab es nach Zahlen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) neben den Förderungen für den privaten Wohnungsbau eine Förderung des sozialen Wohnungsbaus in Höhe von 8,4 Milliarden € (auf den jetzigen Bundeshaushalt hochgerechnet).

Im Ergebnis gab es dadurch in Deutschland relativ niedrige Mieten bei einem relativ guten und großen Wohnungsbestand. So waren die Mieten in einem nicht regulierten Wohnungsmarkt wie etwa in England beispielsweise um das Jahr 2000 herum rund doppelt so hoch wie in Deutschland. Zusätzlich gab es ab Ende der 70-er Jahre Auflagen in Bezug auf die Gebäudedämmung.


Sozialwohnungsbau seit den 80-ern rückläufig

Seit Ende der 80-er Jahre wurde der Sozialstaat im Wohnungssektor massiv abgebaut. Die Sozialwohnungsbauförderung wurde massiv zurückgefahren und der gemeinnützige Wohnungsbau durch Gesetzesänderungen weitgehend abgeschafft. Viele der ehemaligen gemeinnützigen Wohnungsunternehmen sind seitdem in den Händen von Großinvestoren gelandet, die vor allem Rendite aus dem Wohnungssektor ziehen wollen. Ab den 90-er Jahren wurde dann stärker die Eigenheimförderung unterstützt und noch 2006 flossen über 11 Milliarden € Förderung in diesen Bereich. Diese lief 2006 aus und seit 2007 gab es im Verhältnis zu den vergangenen Zeiten praktisch keine Wohnraumförderung mehr und die Bautätigkeit ging massiv zurück.


Hohe Mieten, Grundstückpreise und Gentrifizierung

Die Auswirkungen davon zeigen sich in den Wachstumsregionen der Republik. Durch den steigenden Bedarf in Städten wie Hamburg, München und etwas später auch Berlin stiegen die Preise dann recht bald auf die Höhe wie in einem nicht regulierten Wohnungsmarkt auf derzeit rund 12-16€/m². Die Knappheit von Wohnraum spiegelt sich dann in steigenden Mieten und in steigenden Grundstückskosten. Diese können sich dann nicht mehr alle Bevölkerungsschichten leisten und es kommt zu einer sozialen Spaltung und Entmischung der Städte (Gentrifizierung). Derzeit finden Förderungen für den Wohnungsbau hauptsächlich durch günstige KFW-Kredite und KFW Zuschüsse für energetische Sanierung und energetischen Neubau statt, wobei das Fördervolumen zwischen 1 und 2 Milliarden € liegt.


2.) Wirkung der Finanzkrise 2008 auf Zinsen und Wohnungsbau

Heute kann mit sehr wenig Eigenkapital rentabel gebaut werden

Durch die Finanzkrise 2008 haben sich die Bedingungen im Wohnungsbau nachhaltig verändert. Als Reaktion auf die Finanzkrise hat die Europäische Zentralbank die Märkte mit Geld „geflutet“, um die Wirtschaft am Laufen zu halten. Die „Flutung“ findet vor allem über günstige Zinsen statt, die die Unternehmen zu Investitionen anregen sollen. Beim Bauen stellt die Zinshöhe nun einen Hauptteil der Kosten für die Rückzahlung der Baukredite dar. Lagen in den 80-er und Anfang der 90-er Jahre die Zinsen für Baukredite noch in einer Höhe von rund 8%, so betragen sie derzeit nur noch 1,5%.

Bei 8% Zinsen konnte mit einer jährlichen Belastung von 10% der Kredit in rund 25 Jahren getilgt werden. Bei 1,5% Zinsen ist eine Tilgung in 25 Jahren mit rund 5% der Kreditsumme möglich. Da die durchschnittliche Rendite eines Gebäudes rund 5% betragen soll, war in den 80-er Jahren Bauen ohne zusätzliches Eigenkapital in größerem Umfang oder stattliche Förderungen kaum möglich. Heute kann praktisch nur mit Fremdkapital rentabel gebaut werden. Derzeit lässt sich im Bausektor daher mit sehr wenig Eigenkapital richtig viel Geld verdienen.

Ein zweiter Aspekt kommt dazu: Deutschland ist mit seinem kleinen Finanzsektor und seinem relativ großen produktiven Industriesektor recht gut durch die Finanzkrise gekommen und weist gute Wachstumszahlen und stabile Wirtschaftsdaten auf. Normalerweise führte ein Aufschwung zu Zeiten der D-Mark zu steigenden Zinsen, die ein „Überhitzen“ der Wirtschaft vermeiden sollten. Dank dem Euro und den anderen Euroländern, die nicht so gut durch die Krise gekommen sind, bleiben die Zinsen sehr niedrig. Dadurch profitiert der Bausektor in Deutschland wie keine zweite Branche, da Bauen wie gezeigt, sehr stark an den Zinsen hängt. Es gibt daher derzeit die historisch einmalige Situation, dass es sehr niedrige Zinsen gibt, die Wohnungsbau ohne staatliche Zuschüsse rentabel macht bei guter Nachfrage. Die niedrigen Zinsen und die Finanzkrise führen so indirekt dazu, dass die Verwerfungen am Wohnungsmarkt in Deutschland sehr viel geringer ausfallen, als es durch den Sozialabbau im Wohnungssektor zu erwarten gewesen wäre.


Bis der Bedarf an Wohnraum gedeckt ist und die Mieten wieder sinken wird es noch bis mindestens 2030 dauern

Theoretisch führt das nun zu einer umfangreichen Bautätigkeit, bis der Markt gesättigt ist und der Wohnungsbedarf gedeckt ist und die Mieten wieder sinken.

Da nun aber gut 10 Jahre lang im Verhältnis zum Bedarf zu wenig gebaut wurde und der Bausektor sehr langsam nur seine Kapazitäten ausweiten kann, wird es noch bis mindestens 2030 dauern, bis der Bedarf annähernd gedeckt ist. Das wird sich räumlich und zeitlich sehr unterschiedlich darstellen.


Nachverdichtung in Ballungszentren

In den Wachstumsregionen wird der Trend bis über 2030 hinaus anhalten schätzt das Institut der deutschen Wirtschaft in Köln. In den Ballungszentren mit hohen Grundstückspreisen werden die Rahmenbedingungen dazu führen, dass kleine stadtnahe Einfamilienhäuser auf relativ großen Grundstücken aus den 50-er und 60-er Jahren durch Mehrfamilienhäuser ersetzt werden. Der Trend läßt sich in vielen Straßen beispielsweise in München schon betrachten. Das wird das Gesicht der Ballungszentren in den nächsten Jahren stark verändern. Ein Großteil des gesamten Neubaus wird daher im Mehrfamilienhausbau in den Zentren stattfinden. Für den Naturbaustoffhandel ist dieser Bereich bisher wenig nachfragestark, da dort große Bauunternehmer und Bauträger möglichst einfach günstigen Wohnraum erstellen wollen, den sie dann möglichst teuer verkaufen. Für Naturbaustoffe bliebt dort bisher nur wenig Spielraum.

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Entwicklung in Ein- und Zweifamilienhausbau in der Fläche

Durch die günstigen Zinsen boomt aber auch der Ein- und Zweifamilienhausbau. Da der Bedarf in den Klein- und Mittelstädten in der Fläche aber nicht so groß ist, geht das IW davon aus, dass der Bedarf bis auf die zentrumsnahen Bereiche in den süddeutschen Flächenländern und rund um die Wachstumszentren recht bald gedeckt sein wird und es zu einer Überproduktion an Gebäuden kommt. In der Folge ist zu befürchten, dass viele ältere Häuser aus den 50-er, 60-er und 70-er Jahren in solchen Regionen dann leer stehen werden, wenn die betroffenen Städte nicht gegensteuern.

wohnungsbedarf deutschland.jpg

Um die Größenverhältnisse in Zahlen auszudrücken: Während in der Hochphase der Bautätigkeit nach der Deutschen Vereinigung 1995 etwa 600.000 Wohnungen pro Jahr gebaut wurden, waren es 2010 nach der Abschaffung der Wohnungsförderung und während der Finanzkrise nur noch 160.000 Wohnungen. Seitdem ist der Neubau von Wohnungen wieder auf 284.816 Wohnungen in 2017 gestiegen und das IW geht von einem Wohnungsneubaubedarf von 380.000 Wohnungen jährlich bis 2030 aus, während die Bundesregierung und die Bauwirtschaft von 350.000 neuen Wohnungen jährlich ausgehen.

Die KFW kommt in einer Analyse vom November 2017 zu sehr ähnlichen Ergebnissen (KFW Research Nr. 188):

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Steigt damit auch der Bedarf an ökologischen Gebäuden?

Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sind nur ein wesentlicher Einflussfaktor für die künftige Bautätigkeit. Ein weiterer wird die Klimadebatte sein, auf die im nächsten Kapitel eingegangen wird. An dieser Stelle soll erstmal geklärt werden, inwieweit ökologische Gebäude von den Rahmenbedingungen profitieren können oder ob ökologische Gebäude deutlich teurer sein müssen, als konventionelle Gebäude und ob ihnen daher die guten Rahmenbedingungen überhaupt helfen.

Die durchschnittlichen Baukosten in Deutschland unterscheiden sich zwischen den einzelnen Bundeländern zum Teil massiv. So sind die vom statistischen Bundesamt erhobenen Kosten (veranschlagte Kosten des Bauwerks nach DIN 276 für die Konstruktion und die Haustechnik) in Bayern rund 40% höher als z.B. in Niedersachsen. Folgende Tabelle gibt Auskunft über die regionalen Baukosten:

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Die durchschnittlichen Baukosten lagen bundesweit bei 1624€/m² Wohnfläche.

Nach Angaben von Prof. Fisch von der TU Braunschweig sind die Kosten für energetisch sehr gute Gebäude (KFW 40+, Effizienzhaus plus) dabei um rund 8% höher als die Kosten eines Gebäudes mit KFW 70 Standard.


Baukosten für ökologische Gebäude

Ökologische Gebäude lassen sich mit Ökobilanzen in Bezug auf die Erstellung, die Nutzungsphase mit Energieverbrauch und die Instandhaltung berechnen. Dabei zeigt sich, dass vor allem solche Gebäude besonders gut abschneiden, die eine gute Dämmung haben, eine gute regenerative Haustechnik (mit Solarenergiegewinnung) und mit Naturbaustoffen gebaut sind (hohe Einlagerung von CO2 und niedriger Energieaufwand in der Erstellung). Da es für die Erstellung solcher Gebäude bisher keine brauchbaren Statistiken gibt, wird auf die Erfahrung des Autors und befreundeter Architekten in Niedersachsen zurückgegriffen.

Holzbauweise Ökologisch Bauen 1

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Holzbauweise Ökologisch Bauen 3Mehrfamilienhaus mit 6 Wohnungen. KFW 40plus Standard, 450m² Wohnfläche in Verden.

Komplett mit Naturbaustoffen gebaut: Holzkonstruktion mit Strohdämmung, Lehmputz innen, Kalkputz außen, mit Wandheizungen, Vollholzböden, Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung, …


Ökologisches Bauen muss nicht teurer sein als konventionelles Bauen

Die Kosten für dieses Strohbau Mehrfamilienhaus mit 450m² Wohnfläche in Verden lagen bei 1355€ + 75€ Eigenleistung pro m² Wohnfläche. Da es sich dabei um ein Haus mit dem KFW 40+ Standard handelt, dürfte es daher nach konventionellen Kriterien und den höheren Kosten für energetisch sehr gute Gebäude (nach den Erfahrungen von Prof. Fisch) bei 1445€/m² liegen. Da die Baukosten 2017 angefallen sind und selbst mit hinzugerechneter Eigenleistung noch unter diesem Wert bei 1430€/m² Wohnfläche liegen, zeigt das Beispiel, dass ökologisches Bauen nicht teurer sein muss, als konventionelles Bauen. Neben diesem Gebäude wurde noch 2 ökologische Holzhäuser gebaut, die ähnliche Kosten pro m² aufweisen. Die Erfahrungen der befreundeten Architekten liegen bei den Kosten etwas höher, aber durchaus in dem Bereich. Die Kosten liegen allerdings damit noch deutlich unter dem bundesweiten Durchschnitt. Die Höhe der Baukosten hängt daher offensichtlich mehr davon ab, wo gebaut wird und wie gebaut wird, als davon, ob konventionell oder ökologisch gebaut wird.


3) Einfluss der Klimadebatte auf den Wohnungsbausektor

Ökologisches Bauen und CO2 senken

Die Klimadebatte wird in Zukunft einen sehr wichtigen Einfluss auf den Bausektor bekommen. Das hat mehrere Gründe. Der Bausektor verbraucht derzeit etwa 50% der in der Wirtschaft benötigten Materialien. Die Frage, unter welchen Bedingungen und Klimawirkungen die Baustoffe hergestellt und verbaut werden, wird entscheidend für die Fähigkeit, eine CO2 neutrale Wirtschaft zu ermöglichen. Während beim Bau konventioneller Gebäude in erheblichen Umfang CO2 produziert wird, wird beim Bau mit Naturmaterialien CO2 langfristig eingelagert. Die Differenz lässt sich berechnen und macht etwa bei einem Einfamilienhaus mit 150m² Wohnfläche rund 60 to aus. Damit könnte man mit einem 5-Liter Benzinauto rund 12 mal um die Erde fahren. Der Unterschied in Bezug auf die CO2 Bilanz zwischen einem Ökohaus und einem konventionellen Haus ist daher etwa so groß, wie ein Leben lang Auto fahren (Biber GmbH, 2016).

Hausbau bietet daher die Chance, CO2 Senken zu schaffen, wenn er systematisch ökologisch betrieben wird. Da es dazu sonst in der Wirtschaft nicht so viele Möglichkeiten gibt, kann der Bau mit Naturbaustoffen eine sehr wichtige Funktion bei der Umstellung der Wirtschaft erhalten. Auf der anderen Seite produziert die derzeitige konventionelle Bauweise etwa mit Stahlbeton, Glas, Alu oder PVC einen solchen Ausstoß an CO2 , dass Klimaschützer berechnet haben, dass allein die Fortführung der derzeitigen Bautätigkeit ausreichen würde, das Klimaziel von Paris mit 1,5 Grad Erwärmung nicht zu erreichen.


Umsetzung der Klimadebatte im Bausektor mit der GroKo?

Das Bauministerium wurde nun vom Umwelt- zum Innen- und Heimatministerium verlegt. Die Idee dabei lag wohl in der Hoffnung auf die Schaffung von mehr Wohnraum. Ob dieser Ansatz dem nachhaltigen, ökologischen Bauen sehr förderlich ist, darf bezweifelt werden.

Allerdings: Das Bauministerium bleibt in seiner Struktur und Funktionsweise weitgehend erhalten und Klimaschutz wird dort auch weiterhin einen hohen Stellenwert haben (Ministerialdirigent Krestas am 22.3 in Berlin).

Im BBSR, dem Forschungsinstitut des Bauministeriums gibt es Überlegungen, die in eine Richtung gehen, die EnEV bzw. das künftige GEG, welches die EnEV ablösen soll, so auszurichten, dass neben den Zielwerten zur energetischen Situation des Gebäudes auch Zielwerte zu ökologischen Kennziffern wie CO2 Äquivalente des Gebäudes enthalten sein sollen. Die Werte sollen sich an den Zielanforderungen des Systems für öffentliche Gebäude, BNB orientieren. (Herr Welsch am 22.3. in Berlin)

Neben diesen Diskursen gibt es auch bei der DGNB (Deutsche Gesellschaft für nachhaltiges Bauen) einen Vorschlag, die Förderpolitik in Zukunft auf die CO2 Emissionen von Gebäuden in der Nutzungsphase und ab 2025 auch in der Erstellungsphase auszurichten. Beide Vorschläge würden den Einsatz von Naturbaustoffen deutlich voranbringen.

Ein zweiter Diskurs aus der Klimadebatte wird erheblichen Einfluss auf den Bausektor haben. Der derzeitige Wärmebedarf in den bestehenden Gebäuden ist so hoch, dass ohne eine massive Änderung in dem Bereich die Klimaziele nicht erreichbar sein werden. Verschiedene Szenarien gehen davon aus, dass der Wärmeverbrauch im Gebäudesektor bis 2050 auf rund 50% gegenüber dem derzeitigen Verbrauch gesenkt werden müsste. Dafür müsste aber jährlich ein deutlich größerer Anteil des Bestandes energetisch saniert werden als bisher. Derzeit wird nur 0,8% des Bestandes jährlich saniert. Um die Zielwerte zu erreichen, müssten rund 2,4% jährlich saniert werden. Das wären rund 1 Millionen Wohnungen pro Jahr. Das Bauvolumen ist dort zwar kleiner als im Neubau, allerdings ist die Menge um das Dreifache höher. Auch in diesem Bereich wird daher die Art der Baustoffe eine zunehmende Rolle spielen.

Neben dem hohen Neubaubedarf auf Grund der geringen Bautätigkeit der vergangenen Jahre wird daher auch die Klimadebatte mit der Förderung der Altbausanierung einen wesentlichen Einfluss auf die Bautätigkeit ausüben. Zusätzlich wird sie eine Orientierung in Richtung Naturbaustoffe mit sich bringen.

Insgesamt wird daher die Bautätigkeit in den nächsten Jahren und Jahrzehnten deutlich zunehmen und die Ausrichtung wird sich zu den Naturbaustoffen hin verschieben.


4) Perspektiven für den Naturbaustoffhandel

Bisher sind zwei Faktoren betrachtet worden:

  • Die gesamtwirtschaftliche Entwicklung mit dem Rückbau des Sozialstaates und der Wirtschaftskrise ab 2008. Diese hat einerseits zu einer geringen Bautätigkeit nach 2006 geführt und einem zunehmenden nicht gedeckten Wohnungsbedarf in den Wachstumszentren, zum anderen durch die Wirtschaftskrise zu niedrigen Zinsen und damit hervorragenden Rahmenbedingungen für den Bausektor.
  • Die Klimadebatte, die zu einer Orientierung auf eine erhöhte Altbausanierung und einen erhöhten Einsatz von Naturbaustoffen führt.

Silver Ager und Generation 30

Neben diesen 2 Aspekten gibt es noch einen dritten Faktor: Wie ticken die Kunden und was wollen diese bzw. wie gehen sie mit den Veränderungen um?

Dabei zeichnet sich aus Rückmeldungen aus der Naturbaustoffbranche folgendes ab: Zum einen gibt es die Generation der Silver Ager, der Generation, die durch die Umweltbewegung in den 70-er und 80-er Jahren politisch sozialisiert wurde und nun langsam in Rente geht. Mit diesem Schritt werden häufig auch Änderungen am Wohnumfeld vorgenommen. Entweder wird die vorhandene Wohnung nochmal grundsaniert oder es findet nach dem Auszug der Kinder eine Verkleinerung und ein Neubau oder der Umzug in eine kleinere Wohnung möglichst innenstadtnah statt.

Zum zweiten zeichnet sich aber ein neues Kundensegment der 30-jährigen und Jüngeren ab. In der Generation werden nun die Kinder geboren und es gibt einen recht unkomplizierten Umgang mit Ökobaustoffen und dem Thema „ökologisch Wohnen“. Nachdem es im Naturbaustoffhandel manchmal das Gefühl gab, dass die Branche mit der Generation stirbt, die sie in den 80-er Jahren aufgebaut hat, gibt es nun die Wahrnehmung, dass da durchaus ein neues Kundenpotential nachwächst. Auch bei den Geschäftsübergaben macht sich das bemerkbar. Die junge Generation der Kinder der Gründerinnen und Gründer zeigt durchaus Interesse, die Geschäfte zu übernehmen.


Gute Rahmenbedingungen für die Naturbaustoffbranche in den nächsten Jahren.

Die Rahmenbedingungen sind damit insgesamt für den Naturbaustoffhandel recht gut. Der Wohnungsbedarf und die guten Rahmenbedingungen für das Bauen werden die Bautätigkeiten im Neubau wachsen lassen. Da dies vor allem im Mehrfamilienhausbau in den Zentren stattfinden wird, wird der Naturbaustoffhandel nicht in der Weise profitieren können, wie die Baubranche allgemein. Aber auch der Ein- und Zweifamilienhausbau wird in den nächsten Jahren zunehmen und in der Nähe von Wachstumszentren auch noch längere Zeit.

Die Klimadebatte wird die Altbausanierung forcieren und im Neubau für den Einsatz von mehr Naturbaustoffen sorgen. Nicht zuletzt scheint derzeit eine recht aufgeschlossene Generation nachzuwachsen, mit der sich die Änderungen gut umsetzen lassen.


5) Handlungsmöglichkeiten für die Naturbaustoffbranche

Die Darstellung der Rahmenbedingungen macht deutlich, dass es einige Veränderungen in den nächsten Jahren geben wird. Die Naturbaustoffbranche täte gut daran, sich darauf einzustellen und das aktiv zu begleiten und zu beeinflussen. Dabei zeichnen sich Risiken und Chancen ab.


Risiken für die Naturbaustoffbranche:

Risiken ergeben sich einmal auf gesamtwirtschaftlicher Ebene. Diese Risiken sind kaum beeinflussbar. Dabei gibt es zum einen die Finanzkrise. Die Ursachen der Krise sind nach 2008 nicht wirklich durch wirkungsvolle Maßnahme bekämpft worden. Das „Casino“ wurde nicht geschlossen und die Gegenmaßnahme der Vergangenheit durch eine Politik der günstigen Zinsen ist nicht wiederholbar. Noch günstiger können die Zinsen nicht werden. Was nach der nächsten Krise passiert, ist nicht absehbar.

Zum anderen besteht ein Risiko im Euro-Währungsraum. Die Ungleichgewichte, die mit der Einführung des Euro aus den verschiedenen Volkswirtschaften übernommen wurden, können nun nicht mehr durch Abwertungen einzelner Währungen ausgeglichen werden. Alternativ könnte eine gesamteuropäische Finanz- und Wirtschaftspolitik die Probleme in den Griff bekommen. Das ist aber insbesondere von der Deutschen Seite nicht gewollt. Da der EU Haushalt gerade mal die Größe von 2 NRW Jahreshaushalten hat, ist der derzeitige Umverteilungsspielraum gering. Deutschland profitiert von der derzeitigen Situation sehr stark, ist aber nicht Willens, viel dafür zu geben. Das werden sich die anderen Länder auf die Dauer nicht bieten lassen. Was dann passiert, wird die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in Deutschland nicht verbessern.

Neben diesen allgemeinen Risiken gibt es Risiken auf nationaler Ebene. Dabei besteht zum einen das Risiko, dass die Klimadebatte erst sehr spät für den Bausektor in konkrete Regulierungen über das GEG oder Förderungen über die KFW umgesetzt wird. Dann würde ein Großteil des jetzigen Baubooms an den Naturbaustoffen vorbei gehen und erst greifen, wenn die Bautätigkeit wieder nachläßt. Ein Hebel, der genutzt werden könnten, um die Klimapolitik im Bausektor nicht greifen zu lassen, könnte dabei der Sozialwohnungsbau und der Wohnungsmangel sein. Nach dem Motto: „Wir müssen schnell bauen und dabei nichts fordern, was das behindern könnte“.

Aber auch eine zu schnelle Umsetzung der Klimadebatte in eine Förderpolitik und eine Regulierungspolitik könnte Probleme mit sich bringen, wenn diese Politik zu zaghaft greift und zu viel Greenwashing zuläßt.

Weitere Risiken bestehen in der Umsetzungsfähigkeit der Baubranche insgesamt. Derzeit gibt es nicht genug Handwerker auf dem Markt zur Umsetzung einer erhöhten Bautätigkeit und es ist für viele Firmen schwierig, geeignete Handwerker zu finden. Das Problem trifft auch viele konventionelle Firmen.

Für die Naturbaustoffbranche gibt es noch ein weiteres Risiko, welches mit der Gründergeneration zusammenhängt. Da diese demnächst zu großen Teilen in Rente geht, stellt sich die Frage, wie die Unternehmensnachfolge und die Übergabe von Wissen stattfinden kann.


Chancen und Handlungsmöglichkeiten für die Naturbaustoffbranche

Neben diesen Risiken bieten die Rahmenbedingungen aber vor allem Chancen, die die Naturbaustoffbranche nutzen sollte:

Die Klimadebatte sollte verfolgt werden und zusammen mit gleich gesinnten Akteuren für den Baubereich vorangetrieben werden. Das bedeutet z.B. für die Hersteller, dass es sinnvoll ist, für die eigenen Produkte Umweltproduktdeklarationen (EDP) erstellen zu lassen. Diese sind die Grundlage für die Bewertung von Produkten und die Erstellung von Ökobilanzen. Gleichzeitig müßte durch Lobbyarbeit dafür gesorgt werden, dass die Interessen der Naturbaubranche in den künftigen Änderungen ausreichend berücksichtigt werden z.B. in Bezug auf Grenzwerte, aber auch in Bezug auf Kosten.

In Bezug auf die Kundensegmente sollte versucht werden, die relativ gut ansprechbare Kundengruppe der bis 30-jährigen zu erreichen. Dabei sind insbesondere die neuen Medien wichtig.

Der Naturbaustoffhandel hat mit Ökoplus derzeit die einzige bundesweite Organisation von Firmen im Naturbaustoffbereich. Ziel müßte es sein, neben den Hersteller auch Handwerker und Architekten an die Organisation anzubinden oder mit diesen zu kooperieren, sofern sie eigene Organisationen bilden. Die Organisierung gemeinsamer Interessen scheint wichtig, um sich bei den anstehenden Veränderungen gut wahrnehmbar äußern zu können.

Generell sollte die Kooperation mit Akteuren im Naturbaustoffsektor verstärkt werden, um in der Zukunft einen relevanten Platz im Bausektor einzunehmen. Die anstehende Biogene Wende (Hermann Fischer) sollte möglichst weit mit unseren Inhalten und Wissen gefüllt werden. Das bedeutet neben der vorhandenen Kooperation mit den Händlern und Herstellern mit ähnlich gesinnten Organisationen wie dem IBN, Natureplus, den Umweltverbänden und anderen zusammenzuarbeiten, um die notwendigen Veränderungen in verschiedenen Bereichen wie der Ausbildung, der Lobbyarbeit, der Förderpolitik oder den Normungsausschüssen im Sinne der Naturbaustoffbranche voranzubringen.

Fazit:

Insgesamt sind die Rahmenbedingungen in den nächsten Jahrzehnten für die gesamte Baubranche aber auch für Naturbaustoffe gut und es kann der Naturbaustoffbranche gelingen, diese Rahmenbedingungen durch geeignete Maßnahmen für sich zu nutzen. Dafür gibt es einiges zu tun und ÖkoPlus will ein wichtiger Akteur werden, um das voranzubringen.